Die Fabrik (10)

Ich sah noch eine Weile hinaus, dann drehte ich mich um und erschrak, denn im Türrahmen stand Daria Wu. Ich hatte sie nicht kommen hören und es war gut möglich, dass sie mir schon länger dabei zugesehen hatte, wie ich dort am Fenster meinen Gedanken nachgehangen hatte.
„Geht es ihnen gut“, fragte sie mich kokett. Dabei löste sie sich von der Tür und trat mit gewohnt elegantem Schritt auf mich zu. Ich freute mich, sie zu sehen.
„Ja, hervorragend. Ich dachte gerade daran, wie sehr ich diesen Ort mag. Wissen sie, der Mensch kann bei entsprechender Gewöhnung fast überall heimisch werden“, erklärte ich.
„Das ist seine Stärke. In der Tat“, pflichtete sie mir bei. „Nur so konnte er in die Weite des Alls vordringen, ohne dabei zugrunde zu gehen.“
Ich fragte mich gerade, ob sie nur gekommen war, um mit mir Phrasen auszutauschen. Es hätte mich nicht weiter gestört, aber sie kam dann schnell zum Grund ihres Besuchs.
„Ich wollte mich erkundigen, ob sich ihre Männer inzwischen mein Schiff ansehen konnten.“
Ich nickte und versuchte dabei meinem Gesicht einen bedauernden Ausdruck zu geben.
„Ja, wir haben ihr Schiff inspiziert. Es tut mir leid, aber sie werden uns wohl noch etwas Gesellschaft leisten müssen. Wir haben die entsprechenden Ersatzteile nicht hier und ohne die können wir ihr Schiff nicht wieder flott kriegen.“
Sie schien kurz zu überlegen. Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Egal. Ich fürchte nur, dass mir diese Warterei schnell langweilig wird.“
„Vielleicht kann ich ja …“, unterbrach ich sie. „Ich meine, unser Diginetz ist voller interessanter Literatur. Nutzen sie doch die Zeit und lesen sie ein, zwei Klassiker.“
„Nein, sicher nicht!“, lachte sie. „Ich bin keine allzu geduldige Leserin. Meine Geschichten erlebe ich lieber selbst, direkt und ohne Umwege über Buchstaben. Verstehen sie?“
„Ja, natürlich. Wenn ich aber ehrlich bin, wäre ich glücklich, wenn sich ihre Geschichten im Rahmen des Erlaubten und Gewünschten bewegen würden.“
„Ha, da spricht wieder der Polizeichef, den ich bei meiner Ankunft kennen lernen durfte“, sagte sie verschmitzt. „Keine Sorge. Ich werde ihr kleines Reich schon nicht durcheinander bringen.“
„Vielleicht hätten sie ja Interesse an einem Rundgang, damit sie überhaupt wissen, wo sie sich befinden“, schlug ich vor.
„Ja, das wäre sehr nett. Aber haben sie als Chef dieser wunderbaren Anlage denn die Zeit sich um eine im Sternenmeer gestrandete Frau zu kümmern? Sie haben doch sicher Besseres zu tun.“
„Ach, im Moment läuft alles wie geschmiert. Wann wäre es ihnen denn recht?“
„Na, wenn das so ist, dann los!“

„Sind sie für diese imposante Anlage tatsächlich allein verantwortlich?“, wollte sie wissen, als wir die große Fertigungshalle verlassen hatten und der Lärm der Produktion hinter einer schweren Stahltür zurückblieb.
„Nun ja, nicht ganz. Hank, unseren Cheftechniker haben sie ja gerade schon kennen gelernt. Außerdem vertrete ich zurzeit nur den eigentlichen Leiter dieser Fabrik. Er hat sich kurz vor ihrer Ankunft Urlaub genommen.“
Sie sah mich interessiert an, schien sich aber im nächsten Moment zu besinnen und fragte mich nach den Freizeitmöglichkeiten der Station aus.
Zum Abschluss unserer Führung zeigte ich ihr noch die Anlagen zur Selbstversorgung. Unter einer Metallglaskuppel züchteten wir unter Leitung von Sandro frisches Gemüse und Obst. Daneben gab es die üblichen Anlagen zur Wassergewinnung und Luftreinigung.
„Das war es“, sagte ich, als wir den Bio-Komplex verlassen hatten. „Darf ich sie noch auf einen Drink einladen?“ Es war gerade sechs Uhr dreißig geworden. Die Bar öffnete.

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